Was Dich hier erwartet:
Ich bin immer auf der Suche nach attraktiven Aktien für meine verschiedenen Depots. Das geht Dir vermutlich auch so, wenn Du in Einzelaktien investierst.
Zu meinen Routinen gehört dabei die Lektüre verschiedener Börsenmagazine, aber auch das Hören von Podcasts oder einfach die Lektüre von Tageszeitungen. Und natürlich informiere ich mich auch auf Twitter und bei anderen Finanzblogs, welche Aktien dort als kaufenswert klassifiziert werden.
Die meisten Aktien kenne ich dann auch schon und habe bereits eine Meinung zu ihnen. Und bei manch neuer Aktie werfe ich einen kurzen Blick auf den Chart und die Bewertung und das Thema ist dann auch schon wieder erledigt.
In vergleichsweise wenigen Fällen notiere ich mir allerdings ihren Namen und recherchiere dann auch etwas genauer.
Und heute will ich Dir erläutern, warum ich trotz offenbar extrem niedriger Bewertung in eine Aktie nicht investiere. Ich mache das transparent und in wir können in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren verfolgen, ob ich mit meiner Entscheidung richtig liege.
Die Aktie, die ich seit ein paar Monaten auf meiner Liste hatte und mir nun genauer angeschaut habe, ist die österreichische Semperit AG.
Von ihr habe ich zuletzt in der Zeitschrift AnlegerPlus (Ausgabe 07/2021) der SdK (Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.) unter der Überschrift „KGV-Tiefstapler aus Österreich“ gelesen. Da lag der Aktienkurs bei 31,50 €. Im April hatte die Zeitschrift die Aktie beim Kurs von 37,75 € schon einmal besprochen.
Was macht Semperit?
Semperit ist ein internationales Industrieunternehmen, das auf eine fast 200-jährige Geschichte zurückblicken kann. Es ist auf Produkte aus Kautschuk spezialisiert und stellt z.B. Schläuche, Fördergurte, Rolltreppen-Handläufe und Operationshandschuhe her. Immer noch am Bekanntesten sind vermutlich die Semperit-Autoreifen, die aber seit 1985 zu Continental gehören und deshalb mit der Semperit AG nichts mehr zu tun haben.
Die Produktion der Handschuhe ist in Corona-Zeiten zur Cash-Cow von Semperit geworden. Und damit
Aktuelle Prognose für 2021
Semperit hat zuletzt Halbjahreszahlen gemeldet und dabei die Prognose für 2021 bestätigt: Das EBITDA soll bei rund 395 Mio. € liegen. 2020 waren 208,6 Mio. € erreicht worden. Die Prognose entspricht einem Gewinn je Aktie von 13,44 €. Bei einem Aktienkurs von derzeit rund 28 € entspricht das einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 2,1.
Fairerweise muss ich dazu sagen, dass die Prognose anspricht, dass die Entwicklung der Rohstoff- und Containerpreise herausfordernd ist.
Aktionärsstruktur
Mehrheitseigentümerin mit 54% der Aktien ist mittelbar die B&C Privatstiftung. Diese Stiftung wurde im Jahr 2000 von der Bank Austria und der Creditanstalt gegründet und ist an mehreren österreichischen Unternehmen beteiligt. Die Creditanstalt war schon seit Ende des 2. Weltkrieges Mehrheitsaktionär von Semperit.
Was mich von einem Investment abhält
An sich spricht alles für einen Kauf von Semperit. Für das letzte Jahr gab es 1,50 € Dividende, was einer Dividendenrendite von 5% entspricht. Das Unternehmen hat keine Nettoverbindlichkeiten und ist extrem niedrig bewertet.
Zu schön um wahr zu sein, oder?
Neben den nackten Zahlen ist für mich das Vertrauen in das Management extrem wichtig. Und da kann ich nur auf die bisherigen Ergebnisse, den Werdegang der Personen und die Prognosehaltbarkeit schauen.
Bei Semperit stelle ich eine krasse Fluktuation im Top-Management fest. Und da gehen bei mir alle Alarmglocken an!
Im März 2020 wurde das vorzeitige Ausscheiden von CFO Frank Gumbinger bekannt gegeben. Seine Nachfolge hat interimistisch Petra Preining (eigentlich Aufsichtsratsmitglied) bis Oktober 2020 angetreten. Dann übernahm – ausgestattet mit einem 3-Jahres-Vertrag – Gabriele Schallegger den Posten, legte ihn im Mai 2021 aber bereits wieder nieder. Seitdem ist erneut Petra Preining interimistisch als CFO bestellt. Innerhalb von 2 Geschäftsjahren ist die Verantwortung für die Finanzen also viermal in unterschiedlichen Händen.
Ende September 2021 hat dann der CEO Martin Füllenbach nach 4,5 Jahren seinen Hut genommen und das Unternehmen fluchtartig verlassen. Er hatte ursprünglich einen Vierjahresvertrag, der also gerade verlängert worden war.
Für die Vorstandsbestellungen ist der Aufsichtsrat zuständig. Und auch der Aufsichtsratsvorsitz wechselte im Mai 2021 von Walter Koppensteiner zu Herbert Ortner. Eventuell liegt da der Knackpunkt. Denn das Ausscheiden der Kurzzeit-CFO Schallegger wurde 5 Tage nach dem Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt gegeben.
Aber insgesamt ist mir die Fluktuation viel zu hoch. Im Vergütungsbericht für 2020 von Semperit werden für 6 Vorstandsmitglieder die Zahlungen einzeln aufgeführt. Von diesen 6 Personen sind aktuell nur noch 2 im Amt, davon die CFO wieder.
Bis 2011 war Rainer Zellner langjährig CEO von Semperit und hat das Unternehmen seinerzeit neu aufgestellt. Er ist 2015 dann zum Aufsichtsratsvorsitzenden von Mayr-Melnhof Karton gewählt worden. Bei Semperit herrscht seit seinem Ausscheiden offenbar ein Kommen und Gehen in den Organen.
Aber ist das wirklich relevant?
Natürlich sind als Aktionär erstmal die Geschäftszahlen das A und O. Wenn ich aber in ein Unternehmen investiere, bei dem ein Mehrheitsaktionär vorhanden ist, dann muss ich besonders genau anschauen, wie die Politik dieses Mehrheitsaktionärs aussieht. Mischt er sich in die operativen Belange ein? Saugt er das Unternehmen vielleicht aus? Oder nutzt er es als Spardose und ist bei der Dividende geizig?
Im Fall Semperit habe ich das Gefühl, dass entweder eine große Unzufriedenheit des Mehrheitsaktionärs mit dem Management herrscht oder aber der Mehrheitsaktionär selbst nicht weiß, was er will. Und die Manager deshalb die Flucht ergreifen, nachdem sie sich das eine Weile angeschaut haben.
Und gerade die Position des CFO ist höchst relevant für mich als Aktionär. Denn Wechsel auf dieser Position bergen einige Risiken. Findet eine Risikoinventur statt und räumt der neue CFO erst mal auf? Dann ist in der Regel mit Abschreibungen zu rechnen und die Prognose wird zurückgenommen.
Und wenn ich mir den Aktienchart von Semperit anschaue, dann ist die Aktie eben auch schon einige Monate optisch billig. Und der Kurs kommt trotzdem nicht in Fahrt.
Aktuelles KGV hat wenig Aussagekraft für die Zukunft
Ein KGV von 2 kommt nur äußerst selten vor. Denn das bedeutet ja zunächst, dass die gesamte Unternehmensbewertung (Aktienkurs x Anzahl der Aktien) so niedrig ist, dass ein Investment bereits nach 2 Jahren seine Kosten wieder eingespielt hätte.
Das setzt aber voraus, dass der Gewinn im nächsten Jahr mindestens so hoch sein wird wie in diesem Jahr. Und natürlich auch, dass die Gewinnprognose in diesem Jahr erreicht wird. Und bei beidem hat die Börse offenbar massive Zweifel. Denn sonst käme es nicht zu einer solch niedrigen Bewertung.
Die sprudelnden Gewinne bei den Gummihandschuhen sind etwas, was nur durch die Pandemie kam. Und genauso schnell wieder vorbei sein kann. Noch 2017 wollte sich Semperit von der Sparte trennen, da sie zu schwach war. Vermutlich kann das Unternehmen sein Glück selbst kaum fassen, dass es noch nicht zu einem Verkauf kam.
Keine Empfehlung
Ich gebe bekanntlich keine Anlageempfehlungen, sondern lasse Dich mit meinem Blog an meinen Überlegungen teilhaben. Deshalb empfehle ich Dir auch nicht, die Semperit-Aktie nicht zu kaufen. Du musst Dir Dein eigenes Bild machen. Dazu ist der Besuch der Investor Relations-Seite ein guter Start. Und dann hilft auch Google. Ich habe z.B. nach einzelnen Namen aus dem Management gegoogelt oder auch mal nach „Kautschuk-Preis“ gesucht. Und mir damit ein Bild über das Unternehmen verschafft.
Und so mache ich es bei allen Aktien, die den Weg in mein Depot finden. Bei Semperit bin ich relativ früh ausgestiegen, bei anderen fing dann das Lesen erst richtig an. Von einem niedrigen KGV habe ich mich allerdings noch nie blenden lassen! Und das solltest Du auch nicht. Das ist mein wichtigster Rat: es gibt immer Gründe für eine vermeintliche Unterbewertung. Und bevor Du investierst, solltest Du diese Gründe finden. Nur dann ist ein bewusstes Investment möglich!
Ich wünsche Dir viel Spaß bei Deinen Investmentideen und ein glückliches Händchen!
Ein sehr schöner Beitrag. Dieser zeigt mal wieder, dass Du wirklich sehr viel Herzblut in Deinen Blog steckst.
Ich kann mich der Meinung von Fred nur anschließen. Danke für deine regelmäßigen Beiträge. Es macht immer Spaß Sie zu lesen und gerade als Anfänger ist es sehr hilfreich, die Meinung eines etwas erfahreneren Anlegers so transparent mitlesen zu dürfen.
Vielen Dank für den Beitrag (respektive alle deine Beiträge) und die Infos wie Du eine Auswahlentscheidung angehst.
Ein so niedriges KGV wäre für mich auch sehr irritierend. Dein Blick auf die Fluktuation ist absolut richtig; so mache ich es z.B. wenn ich mich irgendwo für eine Stelle bewerbe; denn ist selbige hoch, dann ist das meist kein gutes Zeichen.
Das waere ein krimi, ueber den sich der Carl Ican freuen würde. Der würde den casus cnacktus bestimmt rausfinden. Oder der herr elsässer.
Es ist immer ein alarmzeichen, wenn ein cfo spontan kuendigt. So etwas hat sich auch bei scheffler abgespielt: boersengang, dann die erste gewinnwarnung, die zeite, und dann macht der cfo winke winke. Sie haben dann wohl keinen ersatz gefunden, sodass der ceo diesen posten noch zusaetzlich übernahm. Dann kam vor einem halben jahr ein ergebnissstatement vom mehrheitsaktionär, gequietscht und in den hoechsten tönen fuer ganz toll befunden, der fcf haette sich um xx prozent erhoeht, und “ wir freuen uns ihnen mitteilen zu koennen, dass wir eine dividende von 25 cent an unsere aktionaere auszahlen ! “ . ( Dass das eine halbierung der dividende war, hat er wahrscheinlich vergessen zu sagen, hehe)
Moin,
ich sehe es ähnlich wie meine Vorredner – ein so niedriges KGV ist in diesem Fall wohl nicht besonders nachhaltig.
Hier ist wohl ein Investment in 1-2 Jahren eher sinnvoll, da dann die positiven Effekte der Pandemie verklungen sein sollten.
Viel Erfolg beim weiteren Investieren.
Viele Grüße,
MrTott
Hi
Früher haben mich niedrige KGVs und auch hohe Dividendenrenditen angezogen. Aber da muss man sehr zurückhaltend sein. Das sind häufig problematische Investments. Kenn das Unternehmen nicht, das du analysiert hast, aber generell sind KGVs unter dem Industrie-Durchschnitt schon mal ein Warnsignal. Es gibt Ausnahmen, natürlich, bspw einzelne Versicherungen und Autowerte, die waren im März 2020 sogar offensichtlich sehr günstig. Aber es schwingt immer der erhöhte Risiko-Indikator mit.
Beste Grüsse
Semperit mag für Trader interessant sein, aber allein ein Blick auf den Chart der letzten 20 Jahre lässt nichts Gutes erahnen. Sonst hätte sich auf Sicht von 20 Jahren der Kurs einfach besser entwickelt. Meiner Meinung nach für Langfristinvestoren uninteressant.
Auch kein sicherer Dividendenzahler. Und seit 27.04.2021 kennt der Kurs auch nur noch eine Richtung……….
Ben super recherchiert, die Vorstandswechsel sind auch auch kein Merkmal für Stabilität. Da schließe ich mich Deiner Meinung an. Mal schauen ob wir Recht haben. Aber für mich ist das üblicherweise nicht einmal ein Blick wert.
Nachfolgend eine kurze Analyse von Semperit. Die Seite finde ich nicht schlecht.
https://aktienfinder.net/dividenden-profil/Semperit-Dividende
Bei den Börsenpublikationen ist das halt auch so ein Problem. Die müssen jede Woche etwas schreiben. Und jede Woche das gleiche schreiben ist auch nichts. Also immer etwas anderes und etwas neues. Ich dagegen kann jede Woche oder jeden Monat die gleichen Aktien kaufen, wenn ich diese gut finde und für kaufenswert erachte. Aber jede Woche die gleichen Aktien besprechen und empfehlen, da kauft keiner den Börsenbrief. Und immerhin leben die vom Verkauf Ihrer Publikationen oder der Werbung auf Ihren kostenlosen Internetseiten. Die versuchen ja nicht mit Aktien Ihr Geld zu verdienen.
Als Gedankenanregung ist das als nicht schlecht, ich empfehle aber dringend, selbst zu recherchieren.