Was Dich hier erwartet:
In dieser Woche findet das dreitägige Deutsche Eigenkapitalforum in Frankfurt statt. Veranstaltet von der Deutschen Börse präsentieren dort rund 250 Unternehmen ihre aktuelle Geschäftssituation.
Für mich ist das Eigenkapitalforum eine hervorragende Gelegenheit, kurz und kompakt einen Einblick in die Marktverfassung zu bekommen und die Gemütslage der präsentierenden Vorstände zu analysieren.
Am ersten Veranstaltungstag legte ich meinen Schwerpunkt auf börsennotierte Immobilienunternehmen und konnte so einen direkten Vergleich hautnah erleben.
Viele Anlegerinnen und Anleger haben in diesem Jahr mit Immobilienaktien zum Teil erhebliche Kursverluste erlitten. Umso mehr stellt sich nun die Frage, ob der Boden bereits gefunden ist und sich womöglich nun schon ein Einstieg lohnt.
Ich versuche in diesem Beitrag, meine aktuelle Einschätzung zu formulieren. Natürlich ist es aber keine Anlageberatung, sondern lediglich meine persönliche Meinung. Sie soll Dich zum Nachdenken anregen und Dir helfen, Dir eine eigene Meinung zu bilden und Dein Börsenhandeln danach auszurichten.
Die Stimmung ist am Boden
Mit diesem Satz lässt sich die allgemeine Stimmung gut beschreiben. Ich habe keinen euphorischen Vorstand erlebt. Alle sind sehr zurückhaltend und fast demütig gegenüber dem Markt.
Bestimmende Themen sind die erheblich gestiegenen Finanzierungskosten, deutlich gestiegene Nebenkosten für Mieterinnen und Mieter, ein aktuell nicht vorhandener Finanzierungskanal Kapitalmarkt und deutlich weniger Transaktionen.
2022 wird noch akzeptabel
Die präsentierenden Immobilienunternehmen haben für die ersten 9 Monate des Jahres eigentlich ganz ordentliche Zahlen auf die Beine gebracht. Sorgen bereitet der Ausblick!
Unisono gehen die Vorstände davon aus, dass 2023 und 2024 deutlich schwieriger werden. Und diese Sorgen haben die Aktienkurse eben in den vergangenen Monaten und Wochen bereits vorweg genommen.
Erhebliche Abschläge zum NAV
Ein Instrument zur Bewertung von Immobilienaktien ist der NAV (Net Asset Value). Darin werden alle Immobilien mit einem Marktpreis bewertet und die Verschuldung abgezogen. Das ergibt dann einen Wert je Aktie, der entsprechend veröffentlicht wird.
Eigentlich müsste der Aktienkurs nahe an diesem Wert sein, denn wenn man alle Aktien kaufen könnte, dann müsste es ja möglich sein, alle Immobilien zu diesen Marktpreisen zu verkaufen und die Schulden zu tilgen. Und da liegt auch schon der Hund begraben: der Aktienmarkt traut den Immobilienwerten nicht mehr, sondern geht von erheblichen Rückgängen aus.
Das führt dann z.B. in einem Fall wie der Noratis AG dazu, dass der NAV bei rund 30 € liegt, der Aktienkurs aber nur etwa ein Drittel davon beträgt.
Refinanzierung derzeit sehr schwierig
Die Vorstände von Immobiliengesellschaften, die ihren Fokus auf gewerblichen Objekten (Büros, Hotels, Einzelhandel usw.) haben, berichteten, dass die Banken keine Finanzierung mit einem LTV über 50% mehr ausreichen. Der LTV (Loan to Value) beschreibt den Verschuldungsgrad der Immobilie. Dabei wird der Kreditbetrag ins Verhältnis zum Verkehrswert gesetzt. Somit können derzeit nur maximal 50% finanziert werden, der Rest ist durch Eigenmittel zu erbringen. In dieser Vorsicht der Banken ist eben auch ein anstehender Rückgang der Marktwerte der Immobilien berücksichtigt.
Diese Vorgaben führen dazu, dass es für manche Immobilienaktie derzeit unmöglich ist, Ankäufe zu tätigen, da sie einfach keine Finanzierung dafür erhält. Als Beispiel dient die ERWE Immobilien AG, deren Portfolio aktuell einen LTV von 70,8 aufweist. Ihr bleiben zunächst nur Immobilienverkäufe, um die Verschuldung spürbar zu senken.
Einen deutlicheren Puffer weist aktuell Hamborner REIT auf, die mit einem LTV von 41,1% defensiv aufgestellt sind und sich damit eigenen Angaben nach in der Marktlage wohl fühlen.
Ausstehende Anleihen belasten
Diverse Immobiliengesellschaften haben sich über den Kapitalmarkt refinanziert. Sie haben Anleihen ausstehen, die in den nächsten Jahren fällig werden. Entspannter konnten Vorstände berichten, die noch einige Jahre Laufzeit vor sich haben.
Andere, wie die DEMIRE Deutsche Mittelstand Real Estate AG, haben jüngst Anleihenrückkäufe mit einer Rendite von mehr als 20% vornehmen können. Sie haben erhebliche Fälligkeiten im Jahr 2024 und eine Prolongation zu Konditionen der Vergangenheit ist derzeit undenkbar.
Positiv wirken Indexierungen
Aber es ist nicht alles schlecht: denn mehrfach wurde in den Präsentationen davon gesprochen, dass die Mieterträge in der nächsten Zeit einen positiven Effekt durch die in den Mietverträgen verankerten Indexierungen erleben werden. Hier macht sich dann die exorbitante Inflationsrate positiv bemerkbar.
Auch Vermietungen laufen interessanterweise weiterhin gut – trotz der aktuellen Lage. Im Wohnbereich sowieso, da ist ja der Wohnraum knapp. Aber auch im Büromarkt scheint es weiterhin eine ausreichende Nachfrage zu geben.
Die Nebenkostenbombe
Die Vorstände der Noratis AG, einer Gesellschaft mit Wohnimmobilien für sozial schwächere Mieter, berichteten, dass die Nebenkosten das bestimmende Thema der nächsten Monate sein werden. Sie hätten ihre Mieter schon auf entsprechende Nachzahlungen hingewiesen. Einer Anpassung der Vorauszahlung hätten aber nur 40% der Mieter zugestimmt. Und interne Prognosen sehen eine zweistellige Prozentzahl von Mietern, die womöglich ihre Mieten und Nebenkosten nicht mehr bezahlen könnten. Hier seien dann Lösungen wie Stundungen zu suchen, um Kündigungen zu vermeiden. Bisher lag die Mietausfallrate bei dieser Gesellschaft bei rund 1,5-1,8%.
Mein Fazit
Bisher hat zwar nur die Hälfte der Immobilienunternehmen auf dem Deutschen Eigenkapitalforum präsentiert, aber mein Eindruck ist klar, dass die Branche derzeit an allen Ecken und Enden zu kämpfen hat. Die runtergeprügelten Aktienkurse nehmen vieles bereits vorweg, was sich in den nächsten Quartalen in den Zahlenwerken wiederfinden wird.
Das bietet aus meiner Sicht nur dann Chancen, wenn sich die düsteren Aussichten nicht bestätigen. Dafür fehlt mir persönlich im Moment die Fantasie. Ich rechne vielmehr – wie jüngst bei TAG Immobilien – mit Maßnahmen zur Sicherung der Liquidität, die dann eben auch zu Dividendenkürzungen und -aussetzungen führen können. Solang die Refinanzierungsmöglichkeiten verstopft bleiben, bliebt den Vorständen auch nichts anderes übrig.
Durchaus interessant finde ich allerdings den Blick auf den Anleihemarkt. Dort werden teilweise deutlich zweistellige Renditen bezahlt, die das Risiko dann auch entsprechend berücksichtigen.
Offen sind noch Präsentationen der Fachmarktzentren-Immobilien-Aktien (FCR Immobilien, Deutsche Konsum REIT und DEFAMA). Sie sind aber ein Sondersegment, das seine eigenen Themen hat. Hier bin ich ja bei der DEFAMA investiert und erwarte auch keine negativen News.
Hallo Ben,
und Danke für deine Eindrücke. Ich bin bei Noratis mit einer kleinen Position dabei und habe schon ein paar Mal überlegt, ob ich da nochmal nachkaufe. Bei Noratis stimmt mich die Aktionärsstruktur generell positiv und ich mag auch den Fokus, der ein wenig weg von den Ballungszentren geht. Aber ein Szenario in dem 10%+x Mieter nicht mehr zahlen finde ich schon heftig. Ich vermute auch mal, dass keiner der Beteiligten sich an ähnliche Zeiten erinnern kann und gewisse „lessons learned“ anwenden kann.
Es bleibt sicherlich spannend.
Vielleicht schreibst du ja auch nochmal was zur DEFAMA nachdem du sie gesehen hast. Dank Twitter habe ich auch den Eindruck, dass es da keine großartigen Überraschungen gibt und freu mich immer wieder über die großartige Transparenz.
Hi Ben,
Schoen, wenn auch traurig !
Zu den an die Inflation gekoppelten mieterhoehungen: ich weiss nicht wie diese vertraege in Deutschland gestaltet sind, aber ich befuerchte, es ist nicht 1 zu 1. In USA Reits greifen diese mieterhoehungen meist erst ab 2 prozent inflation, und sind dann schon bei 5% von oben gedeckelt. Bei einer inflationsrate von 8+% also nicht unbedingt der hit ( fuer die vermieter und vermieterinnen).
Hallo zusammen,
ich habe drei Immobilienaktien im Depot: Iron Mountain (REIT), OHI (REIT) und Vonovia. Taylor & Wimpey (tiefrot) lasse ich mal außen vor, hat zwar auch was mit Immobilien zu tun, ist aber doch eher Baubranche.
Iron Mountain habe ich in 05/20 erworben und der Kurs ist satte 125% im Plus plus üppige Dividenden, OHI ist vom Kurs her bei plus minus Null (gekauft in 05/20, Nachkauf in 07/21) aber auch hier sind bislang immer Dividenden geflossen. Vonovia ist bei -25% (erste Position bei 50€, zweite bei 32€, dritte bei 19€). Bei Vonovia habe ich keine weiteren Nachkäufe geplant, aber ich werde auch nicht verkaufen. Sollte man in D nach wie vor deutlich unter den gewünschten 400.000 zusätzlichen Wohnungen/Jahr bleiben, dürfte das Portfolio von Vonovia nicht soviel an Wert verlieren, sollten die 400.000 erreicht werden, wird das vermutlich auch mit einer verbesserten Wirtschaftslage einhergehen, die Vonovia auch zugute kommen müsste. Ob und wenn ja, in welchem Maße Mietausfälle zu verkraften sind, kann ich nicht beurteilen. Bei einem Teil der Wohnungen dürfte die Miete auch nicht vom Mieter, sondern vom Staat bezahlt werden. Bin gespannt, wie man beim Verkauf von Wohnungspaketen vorankommt. Soweit mein Milchmädchen. Alles in allem, hohes Risiko, aber bei dem Kurs u.U. auch eine gute Gelegenheit. Das ist natürlich weder eine Kauf- noch eine Verkaufsempfehlung.
BG, Matthias66
Hallo Matthias. zumindest der dritte Kauf bei Vonovia zu 19€ könnte ein Treffer sein. Das Problem ist bloß, wenn die Dividende ausfällt (bei Jahreszahlern), ist diese Position bei der Generierung von Cashflow für Aktienhalter möglicherweise mehrere Jahre nutzlos. Ich wünsche das natürlich keinem, aber den Kurs von TAG z.Bsp. zerreißt es jeden Tag mehr.
Auf der anderen Seite zitiere ich kurz von der Website der Bundesregierung:“ Ab 2023 bekommen zwei Millionen Haushalte mit kleinen Einkommen Anspruch auf Wohngeld – heute sind es 600.000. Das neue „Wohngeld Plus“ wird deutlich höher sein: Im Schnitt wird das Wohngeld verdoppelt.“Zitatende.
Wer sich darum kümmert, seine Miete zu zahlen, wird auch irgendein Amt finden, das die Miete zumindest teilweise zahlt. Für Vollbelegung bei Wohnimmobilien ist zumindest ist auf lange Sicht gesorgt.
vielleicht müssen sie ihre Sozialberatungskompetenzen ausbauen, wer weiß ?
Wenn man Pech hat, droht hier eine längere Hängepartie selbst bei sich erholender Wirtschaft.
Bei Anleihen kann man Glück haben, die Kurse drehen nach peak Zinsen schnell nach oben im Kurs, wenn die Zinsen wieder fallen, aber bei deutschen Immobilienfirmen müssen sie dann auch regelmäßig bedient werden.
Adler Group scheint gerade so noch Glück mit seinen Anleihegläubigern gehabt zu haben, (weiß nicht zu welchen Konditionen) aber die haben auch keine anderen Wahl als in den sauren Apfel zu beißen. Bei einer Pleite sehen sie noch weniger von ihrem Geld wieder. Da hilft nur auf Zeit zu spielen. Wenn schon Anleihen dann lieber T-Bills oder T-Bonds oder sowas.
Zum antizyklischen Einstieg bleibt in diesem Sektor (Immo in D) jedenfalls noch ausreichend Zeit,
Das immobilienproblem haette in einer diktatur eine ganz einfache loesung : alle vermieterfirmen und energiefirmen werden verstaatlicht, und die miet u strompreise dann vom staat festgelegt, und evtle defizite zahlt der steuerzahler. Ist gar nicht so abwegig. So etwas in dieser Form hatten wir schon mal, nach WW2. Und bei der heutigen radikalisierungstendenz halte ich das auch heute gar nicht mehr fuer so unwahrscheinlich. Laeuft dann natuerlich etwas subtiler ab: Staat laesst diese firmen pleite gehen, und kauft sie dann fuer einen apfel und ein ei am freien markt auf …..
Danke Ben für deine Eindrücke vom Deutschen Eigenkapitalforum, von deutschen Immobilienaktien lasse ich lieber die Finger (bei mir schlummern leider auch noch ein paar Exporo Bestandsobjekte im Portfolio bei denen unklar ist, ob sie je Gewinn machen werden. immerhin noch kümmerliche Miet Rendite abwerfen).
Eindrücke zu DEFAMA würden mich als ebenso Aktionär dann auch interessieren ;)
grüße
Thomas
Hallo Ben, exellent erklärt den NAV und LTV. Wirklich super. Ich selbst bin nicht in Immo Aktien investiert. Die waren mir die letzten Jahren immer zu dubios, da alles immer auf Kredit gekauft wurde und mir klar war, dass wenn die Zinsen irgendwann wieder steigen werden, dass dann die Bombe platzt. Dass jetzt auch noch die Nebenkostenbombe folgt, daran hatte ich nie gedacht. Was lernen wir daraus? Es gibt keine sicheren Geschäftsmodelle und entsprechende Aktien. Bei Immo Aktien bin ich das erste und letzte mal 2008 reingefallen mit dem Office Trust der australischen Macquerie Bank. Seitdem halte ich mich von Immo fern.
Ich bin mir aber sicher, dass es trotz allem echte Perlen und Schnäpchen gibt und wenn man diese findet und einen langen Atem hat, dass gute Gewinne erzielt werden können. Da ich mich aber in diesem Breich zu wenig auskenne, scheue ich das Risiko und schaue mir die Sache weiterhin von der Seitenlinie an.